Die blaue Flunder ist zurück: Mit der Alpine A110 in die Dolomiten
Lesedauer 7 MinutenDer Leichtbau-Sportler aus den 70er Jahren ist zurück: Die Alpine A110, welche dazumal auch unter dem Namen „blaue Flunder“ bekannt war. Wir haben die Neuauflage auf einen Wochenendtrip in die Dolomiten entführt.
Um die neue Alpine A110 zu verstehen, muss man erst die alte Alpine verstehen. In den 70er Jahren wurde in einer Kooperation zwischen Alpine und Renault ein Leichtbau-Sportwagen gebaut. Ein reduziertes aber cleveres Konstruktionskonzept bescherte der Französin einige Rallyesiege. Mit ca. 750 Kilogramm und einem Motor im Heck, mit je nach Ausbaustufe knapp 150 PS, war eine Formel gefunden, die heute noch Spaß macht. Damals schon fühlte sich die Alpine im Slalom oder auf Passstraßen am wohlsten. Perfekte Vorraussetzungen also, dass wir uns die Neuauflage einmal genauer anschauen.
Die neue Alpine A110 wurde 2017 auf dem 87. Genfer Auto-Salon das erste Mal vorgestellt. Die Rezeptur war ähnlich, aber in die Neuzeit übersetzt: Etwas über 1.000 Kilogramm gepaart mit einem 1.8 Liter Turbomotor von Renault, welcher nun mittig eingebaut 252 PS liefert. Das Factsheet liest sich gut, aber bisher war ich kein großer Fan von Neuauflagen alter Ikonen. Zu viel kann dabei schief gehen und den Namen und Ruf der Historie für immer zerstören. Entsprechend skeptisch war ich auch als wir das erste Mal zu Besuch im Alpine Centre Winterthur waren.
Der erste Eindruck ließ die Skepsis allerdings schnell verfliegen, denn was wir hier vorfanden war eine ungewohnt gute Verarbeitung im Innenraum. Die Materialien, egal ob Aluminium oder Leder, wirkten sehr wertig.
Alpine Centre in Winterthur
Auch das Alpine Centre in Winterthur, welches zur hutter auto gruppe gehört, ist gut sortiert und ausgestattet. Neben mehreren Modellen, in denen man auch die Unterschiede zwischen Pure und Légende entdecken kann, gibt es auch ein reichhaltiges Angebot an Zubehör und Accessoires.
Ein weiteres Detail: Genau in diesem Showroom wo sich heute das Alpine Centre befindet, befand sich schon damals zu Zeiten der A110 Berlinette das Alpine Centre.
Dass Renault leichte Sportwagen bauen kann, hat man schon vor der Neuauflage der Alpine A110 bewiesen. Von 1995 bis 1999 wurde der Renault Sport Spider gebaut – übrigens im gleichen Werk wie heute die Alpine A110. Der Renault Spider wog ca. 950 Kilogramm und leistete 150 PS. Besonders an ihm war, dass es weder ein Dach noch sonstige Sicherheitseinrichtungen, wie ABS oder ESP, gab.
Zurück zur Alpine A110…
Nach der Fahrzeugübergabe war ich überaus gespannt, ob das wohlgeformte französische Croissant auch halten kann was es dem Papier verspricht. Nach den ersten Kilometern auf den Schweizer Landstraßen war aber definitiv klar, dass man hier einiges richtig gemacht hat. Um das aber bestätigt zu bekommen, machten wir uns am nächsten Tag auf nach Meran.
Auf dem Weg konnten wir uns schon einmal mit den drei verschiedenen Fahrmodis vertraut machen: Normal, Sport und Track. In Normal ist die A110 etwas gediegener am Gas und brüllt und brabbelt nicht sofort los – erst beim sportlichen Beschleunigen kommt der kernige Sound durch. In Sport und Track ist der Sound dann Programm – das Motorgeräusch wird deutlich lauter und am hinteren Ende knallt es beim vom Gas gehen richtig. Dem sportlichen Fahrer wird direkt ein Lächeln ins Gesicht gezaubert.
Die Route führte uns über die Silvretta Hochalpenstraße und aufgrund des schon einsetzenden Regens über den Reschenpass – bei gutem Wetter hätten wir das Timmelsjoch (Passo Rombo) natürlich nicht ausgelassen.
Leider machte uns auch am folgenden Tag das Wetter einen Strich durch unsere Rechnung, denn eigentlich hatten wir eine ausgiebige Runde durch die Dolomiten geplant und wollten ein paar Fotos mit genialem Panorama schießen. Leider beschränkte sich die Sicht auf ein Minimum und der Scheibenwischer der A110 lief dank Regensensor im Dauerbetrieb.
Da bis dato eigentlich nur die Silvretta schön und vor allem trocken zu fahren war grübelten wir, was wir am letzten Tag auf der Rückfahrt noch einbauen könnten, um die Alpine noch gebührend zu testen. Die Entscheidung war leicht, es hies früh aufstehen und ab aufs Stilfser Joch! Der Stelvio Pass welcher schon von Jeremy „Orang-Utan“ Clarkson als Kirsche auf dem Kuchen bezeichnet wurde ist immer wieder atemberaubend und auch wenn wir das frühe Aufstehen am nächsten Morgen noch kurz bereuen würden, wird man in jeder Kehre dafür belohnt.
Endlich fühlte sich die Alpine wie zuhause, obwohl ihr der Col de Turini vermutlich lieber gewesen wäre – Franzosen sind ja stolz – hat sie in den engen Kehren und kurzen Geraden ihre Wahre Pracht entfaltet. Endlich ein Ort, an dem man jedes Gramm, welches der Alpine fehlt, spürt. Per Knopf am kleinen und handlichen Lenkrad wird die französische Schönheit zur sportlichen Flunder. Im „Track“-Mode verwandelt sich das Kombiinstrument in ein Renncockpit, nur noch die wichtigsten Daten sind zu sehen, die Drehzahl und die Ganganzeige rücken in den Vordergrund. Noch wichtiger aber, das ESP versetzt sich in den Handlingmode, somit sind auch kleine Beschleunigungsdrifts am Ende der Kehre kein Problem – immer mit der Sicherheit, dass bevor es zu spät ist, eingegriffen wird. (Über ein längeres drücken der ESP-Taste in der Mittelkonsole würde sich das ESP auch noch komplett deaktivieren lassen). Einzig bei der Gangwahl für Enge kehren tut man sich manchmal etwas schwer, im Zweiten wäre etwas mehr Drehmoment im Drehzahlkeller wünschenswert, im Ersten kommt man nämlich schon am Kurvenausgang an den Begrenzer.
Auf dem Gipfel angekommen hat sie sich erstmal eine Verschnaufpause verdient. Wenn man die hintere Heckklappe öffnet reichen drei große Flügelschrauben um die Heckscheibe anzuheben, darunter verbirgt sich unter einer weiteren Abdeckung dann der 1.8 Liter Motor. Schön ist übrigens auch die Tatsache, dass man hier einen echten Großserienmotor verbaut hat, der so auch im Talisman oder Espace eingebaut und damit gut erprobt und wartungsfreundlich ist. Generell profitiert die Alpine vom Know How des Mutterkonzerns Renault, bringt aber ihr eigenes Flair mit, was uns sehr gefällt!
Innenraum
Der Innenraum ist sehr wertig, die optisch freischwebende Mittelkonsole mit darunterliegendem Ablagefach fügt sich gut ins Interior ein. Das Ablagefach war allerdings, je nach Sitzeinstellung der Schalensitze im Pure-Modell, etwas schwer zu erreichen. Allgemein hat die Alpine A110 wenig bis keine Ablagemöglichkeiten. Ein Handschuhfach oder Ablageflächen in den Türtafeln sucht man vergebens – auch ein Cupholder gibt es nicht mal auf der Aufpreisliste. Da wurde der Leichtbau konsequent durchgezogen würde ich sagen.
Etwas Abhilfe schafft aber das Ablagepaket, welches als Zubehör angeboten wird. Hier bekommt man ein Lederkorb mit Deckel welcher zwischen den Sitzen an der Innenraumrückwand befestigt wird oder auch eine Ledertasche links neben dem Fahrersitz z.B. für Fahrzeugpapiere oder eine Sonnenbrille.
Der Kofferraum bietet 200 Liter Volumen, vorne 110 Liter und hinten 90 Liter, was je nach Packweise für ein Wochenendtrip total ausreicht – auch wenn es auf den ersten Blick nicht so scheint.
Gesamteindruck
Kommen wir zum Gesamteindruck: Vorweg muss ich sagen: Noch nie war ich so gespannt auf ein Auto, so skeptisch was die Versprechungen auf dem Blatt Papier anging und nie war ich in diesem Verhältnis so beeindruckt wie von der Alpine A110. Ein genialer leichter Sportwagen, der alle Versprechen hält! Ein ungewöhnliches aber sehr Ansprechendes Design, welches definitiv Blicke auf sich zieht und uns zu mehreren Daumen Hoch vom Straßenrand verholfen hat – das gab es übrigens mit dem gelben Elfer nicht.
Es gibt aber auch eine kleine Liste mit Punkten die ich persönlich gerne anders hätte: Zum einen der „Multimedia“-Lenkstockhebel, den man so aus jedem Renault kennt, passt irgendwie nicht zur Alpine und fühlt sich auch nicht so an. Dasselbe gilt übrigens für das Entertainment-System, es tut seine Dienste und funktioniert, die Bedienung ist aber nicht wirklich state-of-the-art und CarPlay sowie Android Auto sucht man leider vergebens. Zum anderen könnte die A110 ein klein wenig mehr Drehmoment im Drehzahlkeller gebrauchen, grade auf den ganz engen Kehren wo sie sich sonst super zurecht findet tut man sich manchmal etwas schwer. Wählt man den zweiten Gang wünscht man sich mehr Drehzahl, damit es direkt weitergehen kann. Wählt man den ersten Gang ist man fünf Meter nach dem Kurvenscheitel direkt im Begrenzer. Im Gesamtpaket sind das aber wirklich kleine Details!
Außerdem ist die A110 ein wirkliches Verbrauchswunder, auf unserer Testroute mit knapp über 1000 km verbrauchte die Alpine 7,4 Liter auf 100 Kilometer – und wir waren nicht auf Sparkurs unterwegs, so ein Sportwagen will ja Artgerecht bewegt werden.
Zusammengefasst kann man sagen habe ich mich etwas verliebt und habe bis dato definitiv das beste französische Auto gefunden das ich je gefahren bin! Ein echter Geheimtipp für alle die keinen Mainstream Boxster oder Cayman kaufen wollen.
Vielen Dank an dieser Stelle an das Alpine Centre Winterthur welches uns den Testwagen zu Verfügung gestellt hat.